Experteninterview zum Thema: Wachstum von Kinderfüßen und mögliche Spätfolgen beim Tragen von nicht passenden Kinderschuhen

Interview mit Dr. Norbert Becker, Orthopäde vom Institut für angewandte Biomechanik, Tübingen und Michael Eckford, Produktmanager und Vertriebsleiter der Kinderschuhmarke Lurchi, Langenfeld.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ab welchem Alter sollte ein Kind Schuhe tragen?

 

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  • Dr. Norbert Becker: Der Kinderfuß soll sich ungehindert entwickeln können, denn er trägt den menschlichen Körper ein Leben lang. Deshalb sollten Kinder möglichst barfuß laufen lernen und auch so lange wie möglich ohne Schuhe laufen. Das ist sinnvoll, damit sich der Fuß der natürlichen Belastung entsprechend ungehindert ausrichten kann. Gleichzeitig wird die Entwicklung des Haltungs- und Bewegungsapparates stark vom Fuß mit beeinflusst. Ganz kleine Füße entwickeln sich ohne Schuhe daher am besten. Dennoch gibt es Situationen, in denen der Fuß durch fußgerechte Schuhe geschützt werden sollte. Faktoren wie Kälte, Nässe, Feuchtigkeit, oder als Schutz vor spitzen Gegenständen, sind hier zu nennen.

Wie schnell wächst ein Kinderfuß in der Regel?

  • Dr. Norbert Becker: Kinderfüße wachsen kontinuierlich, aber je nach Alter unterschiedlich schnell. Im Kleinkindesalter können sie bis zu 20 mm im Jahr wachsen, später nimmt die Wachstumsgeschwindigkeit ab. Mit ca. 15 Jahren bei Mädchen und 17 Jahren bei Jungen ist das Wachstum der Füße abgeschlossen.

Babys werden normalerweise mit gesunden Füßen geboren, aber bis zur Einschulung sind kleine Füße schon oft nachhaltig geschädigt. Woher kommt das?

  • Dr. Norbert Becker: Das stimmt, die allermeisten Kinder kommen mit gesunden Füßen auf die Welt. Ursachen für Schädigungen der Füße finden sich schon im Säuglingsalter, bevor die Kinder laufen lernen. Zu kurze oder nicht asymmetrisch gestrickte Fußteile von Strumpfhosen oder zu kleine Strümpfe führen oft schon vor Laufbeginn zu krallenartigem Einzwängen der Zehen und Entzündungen des Großzehennagels. Ein sichtbares Zeichen zu kleiner Strümpfe ist ein Loch im Strumpf im Bereich des großen Zehens. Aber auch Kinderschuhe mit zu runder Spitze entsprechen oft nicht der Anatomie des Kinderfußes und führen zu Fußschäden. Außerdem können zu kurze oder zu lange Schuhe verantwortlich für Schädigungen sein, weil der Fuß gestaucht wird beziehungsweise sich die Proportionen des Kinderfußes im Schuh nicht wiederfinden.

Welche Spätfolgen können entstehen, wenn Kinder zu kleine oder zu große Schuhe tragen?

  • Dr. Norbert Becker: Wenn die Füße nicht richtig beschuht sind, entstehen Spätfolgen nicht nur am Fuß, sondern auch am sich darauf aufbauenden Halte- und Bewegungsapparat. Wenn die Füße gestaucht werden, verkrallen sich die Zehen mit der Folge von Spreizfußentwicklung und Hallux Valgus Bildung und aus der normalen, vorübergehenden Knickfußhaltung kommen die Kinder schlecht heraus. Dadurch wird die Muskulatur ungenügend gefördert, so dass eine Unlust entsteht, sich zu bewegen. Das ist besonders bedenklich, wenn durch die Einschulung aus einem Spielkind ein „Sitzkind“ wird.

Wie kann ich prüfen, ob die Schuhe meines Kindes noch optimal passen?

  • Dr. Norbert Becker:  Entsprechend des Wachstumsverhaltens der Füße ist es sinnvoll, Kinderfüße drei- bis viermal pro Jahr zu vermessen und das Ergebnis auch festzuhalten. Besonders eignet sich dazu das Messsystem WMS, da nicht nur der Fuß in Länge und Breite vermessen wird, sondern auch WMS zertifizierte Schuhe dem Messergebnis zugeordnet werden können.

Kann ein Kinderschuh auch zu eng sein?

 

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  • Michael Eckford: Natürlich! So wie Kinder verschieden lange Füße haben, so haben sie auch verschieden breite Füße. Aber auch der Umfang der Füße, das so genannte Ballenmaß, ist nicht bei allen Kindern gleich. Mit der Schuhbreite verhält es sich gleich wie mit der Schuhlänge. Kinderschuhe kauft man am besten nachmittags, denn die Füße dehnen sich im Laufe des Tages aus. Deshalb werden WMS-Schuhe auch nicht nur in unterschiedlichen Breiten, sondern auch mit unterschiedlichem Ballenmaß gefertigt. Eltern sollten beim Schuhkauf unbedingt darauf achten, dass vom Verkäufer eine fehlende Weite nicht durch zu lange Schuhe ausgeglichen wird.

Was gibt es im Bereich Zehen zu beachten?

  • Michael Eckford: Für Kinderschuhe gilt: je putziger und niedlicher, desto gefragter sind sie. Die Zehen des Kinderfußes sind aber biegsam und sehr leicht nach allen Richtungen verschiebbar. Zu spitz zulaufende Schuhe, zu niedrige Schuhspitzen und dann auch noch zu kurze Schuhe drücken und zwängen die kleinen Zehen seitlich, von oben und von vorne ein. Das ist wahrlich kein Ort, um sich wohl zu fühlen. Kleine Zehen brauchen genügend Platz, deshalb sollte der Zehenraum im Schuh breit und hoch genug sein und Kinderschuhe unabhängig von der jeweiligen Mode über eine ausreichend weite Zehenbox verfügen. Das ist beim WMS-System gewährleistet, denn es berücksichtigt nur die nutzbare Innenraumlänge des Schuhs.

Soll man Schuhe an andere Kinder weitergeben?

  • Michael Eckford: Hier ist Vorsicht geboten, denn man sollte auf Folgendes achten: Ist die Schuhsohle im Bereich der Ferse einseitig abgelaufen und hängt der Schuh somit auf eine Seite? Wenn ja, ist er nicht mehr zu empfehlen. Kinderfüße, auch die von Geschwistern, sind stets unterschiedlich und individuell. Der Fachhändler sollte in jedem Fall befragt werden. Im Zweifel und zu Gunsten der Gesundheit des Kindes ist es ratsam, sich für einen neuen und passenden Markenschuh zu entscheiden.

Was gibt es bei Einlegesohlen zu beachten?

  • Michael Eckford: Kinderfüße brauchen keine Gewölbestützen. Einlegesohlen sollten so gestaltet sein, dass der Fuß geführt, aber nicht unterstützt wird. Ohne Unterstützung können sich Sehnen, Muskeln und Gelenke frei entwickeln. Wichtige Funktionen der Einlegesohlen sind: Sie sollten herausnehmbar und gegebenenfalls austauschbar sein, denn so passen sie sich exakt den aktuellen Bedürfnissen des Trägers an. Eine einzigartige Besonderheit bieten dabei die Lurchi-Schuhe, die nach WMS-Richtlinien gefertigt sind. Sie verfügen über eine herausnehmbare Einlegesohle mit gelben und roten Kontrollstreifen im Zehenbereich. Das ist sehr praktisch, denn sie ermöglichen den Eltern eine schnelle Überprüfung des Zehenabdrucks, und zeigen auf, ob der Schuh dem Kind in der Länge noch passt. Spätestens wenn der rote Bereich erreicht ist, empfehle ich einen Besuch beim Fachhändler.

In welchen Schuhen fühlt sich der kleine Fuß wohl?

  • Michael Eckford: Die Wahl des Materials ist abhängig vom Trageanlass und der Witterung. Um den Anforderungen eines Kinderschuhes zu entsprechen, sollte er in erster Linie weich und geschmeidig sein. Aber auch die Eigenschaften wie feuchtigkeitsaufnehmend und feuchtigkeitstransportierend beim Innenmaterial sowie feuchtigkeits- und wasserabweisend beim Außenmaterial sind wichtig. Hochwertiges Leder entspricht diesen Anforderungen am ehesten, aber auch neue, atmungsaktive und wasserfeste Gewebe, z.B. mit Tex-Membranen, finden in der Kinderschuhproduktion Verwendung. Gummistiefel und Lackschühchen können diese Forderungen nicht erfüllen, daher sollten diese immer nur kurze Zeit, bzw. anlassbezogen getragen werden.
Quelle: deutsche journalisten dienste (djd),
Gesundheitsthemen